Nachtdigital #16 – Ein kleiner Nachtrag (Teil 1)

“Blawan? Der scherbelt gewaltig”, sagt Albrecht Wassersleben. Der Mitgründer des Dresdner Labels Uncanny Valley, Der Freiburger Veranstalter und Disc Jockey Agent Schwiech und ich sitzen unter einem Sonnensegel. Wir suchen Schutz vor der Brennkraft der Sonne, die sogar durch den Leinenstoff zu spüren ist. Wir trinken Bier, Radler, Wasser. Gerade haben Herr Koreander und Leafar Legov ihr Set beendet, das letzte des Giegling-Showcase. Noch unter dem Einfluss ihres Microhouse – reduzierte Drums, trockene Bassgrooves, zerhackte Melodien, verzerrte Sprachfetzen – genieße ich die Minuten der Stille, bis der Sven Kacirek die Open Air-Bühne eröffnet. Die Soundcollagen des Hamburger Musikers und Produzenten flirren durch die inzwischen schwül-warme Luft. Die polyrhythmischen Strukturen seiner Kenya Sessions, erschienen 2011 auf Pingipung, sind auch an diesem Nachmittag präsent. Seinen Instrumenten entlockt er zahlreiche Klangfarben, mal zart und leise, dann wieder fordernd, kraftvoll.

Das Nachtdigital Festival 2013, die sechzehnte Ausgabe in Folge, ist zu dieser Zeit bereits 24 Stunden alt. In weiteren 24 Stunden wird alles wieder vorbei sein, denke ich. Ich gerate ins Grübeln, mein Herz wird schwer und ich verfalle in Schwermut. Abschied nehmen fällt mir schwer. Albrecht Wasserslebens Anekdoten und Erfahrungen rund um das Thema Nachtdigital Festival holen mich wieder zurück. Vor drei Jahren feierte dort das Label Uncanny Valley seinen Einstand. Die Künstler bespielten die Uncanny Valley Stage. Sets von Break SL, The Moroders, Hombres Discos und Albrecht Wassersleben selbst kann man auch heute noch anhören (Uncanny Valley Blog – Nachtdigital Festival 2010). Seit der Uncanny Valley 001 sind auf Uncanny Valley sechzehn weitere 12″-Vinylschallplatten von Künstlern wie C-Beams, Break SL und Scherbe erschienen. Ausserdem hat Jacob Korn dort im vergangenen Jahr mit “You & Me” sein Debütalbum veröffentlicht.

Drei Jahre. Viel Zeit ist das nicht. Eigentlich. Trotzdem kommt es mir so vor, als ob es Uncanny Valley schon immer gegeben hat. Meine Zeitwahrnehmung ändert sich. Genauso auch das Zeitempfinden auf dem Nachtdigital Festival. Abreisen, ankommen, Ticket einlösen, Zeltplatz aufsuchen, Zelt aufbauen, runterkommen, fremde Stimmen hören, fremde Gesichter sehen, dann die ersten Schläge rhythmischer Bassdrum-Strukturen: viel zu viele Sinneseindrücke, die ungefiltert und undosiert auf mich einströmen. Man bräuchte Zeit, sie zu verarbeiten. Doch diese hat man nicht. Auf DJ-Set folgt DJ-Set folgt Live Act folgt DJ-Set. Rot senkt sich der Sonne Glut über der Dahlener Heide. Rot hebt sich der Sonne Glut über der Dahlener Heide.

Die Zeitgrenzen verwischt zum Beispiel Kristian von Âme mit seinem Set auf der Seebühne am Sonntagmorgen. Konstantin Sibolds “Madeleine”, längst keine Geheimwaffe mehr, trifft auf den “Fallen Angel” von Dinky. “The Chicken” von den Hamburgern Mense Reents und Jakobus Siebels, das sind Die Vögel, tritt auf “For One Hour” von Agoria. Gegen Ende seines Sets spielt er “Hold On”, ob im Original von Sbtrkt oder im Mathias Meyer Edit – daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Kristian hält den Melodieanteil hoch. Das Tempo ist getragen, der Rhythmus gemässigt, singend. Genau richtig für alle, die einen Abend, die eine Nacht durchgefeiert haben. Und Blawan sollte ja noch kommen.

Den Boden bereitet für das DJ-Set von Kristian (Âme) hat Daniel Ansorge alias Barnt. Der Disc Jockey und Produzent aus Köln betreibt zusammen mit Jens-Uwe Beyer (Popnoname) das Label Magazine. Beide gehören zu dem Projekt Cologne Tape, dessen Stück “Collection” im Live At Robert Johnson-Mix von Dixon zu hören ist. Auf dem Papier passt er deshalb wunderbar zum Innervisions-Umfeld, und auch musikalisch hat er sein DJ-Set bestens auf den nachfolgenden Act zugeschnitten. Neben Remixen mit Carl Craig-typischer Dramaturgie und Klassikern wie “The Morning After” von Fallout sind dies Stücke mit zarten Streicher- und Synthie-Klängen, elegischen Vocals und verspielten Pop-Effekte in Kombination mit experimentellen Klangeinschüben aus dem unüberschaubaren Kölner Elektronik-Kosmos. Schön, aber nach Yuri Boselie alias Cinnamans Set etwas schwach auf der Brust.

Wieder zurück auf der Insel des Glücks. [Fortsetzung folgt]

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