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Eine weitere Ausgabe von Lost Tracks steht an. Für einmal nicht am Ende eines Monats, und für einmal erstreckt sich die Auswahl auch auf die vergangenen Jahre. Es wird ja immer schwerer, noch weitgehend unbekannte, noch zu entdeckende Sounds vorzustellen. Die elektronische Clubmusik gleicht ja oftmals einem gut gespurten, um nicht zu schreiben verpisteten Skihang in den Alpen. Die Freestyle-/Freeride-Terrains werden immer kleiner. So könnte man denken. Doch selbst diese werden regelmässig mit “tons of fresh” überzogen, und wer sich dann zur rechten Zeit aufmacht, findet unberührte Hänge. Deswegen verstummt mein larmoyanter Jammer auch bereits wieder. Voranstellen muss ich jedoch noch eines: die ausgewählten Tracks sind es alle Wert, in einem eigenen Beitrag erwähnt zu werden. Doch diese Reihe will fortgeschrieben werden.
1. Runaway – Dead Dog Dance – Simoncino Remix – On The Prowl
Das Original “Dead Dog” gelangte schon vor einiger Zeit unter die Sammler, und zwar über das Label I’m A Cliché, welches der Pariser Disco Don Cosmo Vitelli betreibt. Kleine Randnotiz: hier erschien 2009 auch “Hungry For The Power” von Azari & III. Produziert haben “Dead Dog” der (Wahl-)New Yorker Jacques Renault und Marcos Cabral als Runaway. Somit steht auch die musikalische Marschroute des Stückes fest: Disco zwischen sommerlichem Hippie-Glück und Loft-Atmosphäre und rauer, muskulöser, verschwitzter Paradise Garage-Stimmung.
Im April diesen Jahres haben Runaway den Track auf ihrem eigenen Label On The Prowl neu aufgelegt mit Remixen von Andy Ash, Sal P, Coyote und Simoncino. Das Werk des italienischen DJs und Produzenten Simoncino hat es mir ganz besonders angetan. Er transferiert das Thema von “Dead Dog” in die Anfangszeiten der House Musik. Der Bass röhrt in bester Jack Trax / Alleviated-Manier. Zusammen mit nicht ganz straighten Drums und einer sanften Percussion, unterlegt mit warmen, weiträumigen Synth-Pads und einer sehnsüchtigen Melodielinie, beschwört sein Remix eine magische 5 a.m.-Stimmung. Mighty!
Dead Dog Dance – Simoncino Remix ( OnTheProwl Records ) by Nick Anthony Simoncino
2. Darkstar – Aidy’s Girl Is A Computer – Kyle Hall Oats B So Deep Remix – Hyperdub
Quer durch alle Blogs, Online- und Printmagazine hindurch herrscht ein weitgehender Common sense über Kyle Hall und seine lebenskräftigen, analogen Kompositionen. Als die erste 12″ von ihm erschien, die “EP 01” auf FXHE Records, galt er als Wunderkind. Und auch heute, ein knappes Dutzend 12″ und eine gute Handvoll Remixe später, gilt er immer noch als musikalisches Wunder. Seine schöpferischen Qualitäten spielt er besonders in Interpretationen anderer Stücke aus. Ob die Vorlage nun von Dennis Ferrer, Alton Miller, Jimmy Edgar oder Dressed In Dresden stammt – jedes Mal gelingt es ihm, den Rohdiamanten zu einem wahren Schmuckstück einzuschleifen, unter Berücksichtigung der natürlichen Kristallform. So verfährt er auch bei “Aidy’s Girl Is A Computer”.
Das Darkstar-Original trägt deutlich den Stempel der Post-dies-, Post-das-Generation, nimmt einen mit auf eine melancholische Reise, bewegt sich nahe an der Grenze zu Todes- und Suizidgedanken. Der Detroiter Kyle Hall holt in seinem “Oats B So Deep Remix” zum Befreiungsschlag aus, befreit den Song aus seinem Depressionsnetz. Die analogen Beat Pattern stellen die Melodie auf einen festen, unerschütterbaren Untergrund, verleihen ihr festen Halt. Nicht mehr Edgar Allan Poe, sondern ein später, lebensbejahender Rainer Maria Rilke. Glücksbekundung in Moll.
3. Aardvarck – Cult Copy – 2000 And One’s Chicago Dirt Mix – Rushhour
Dylan Hermelijn als 2000 And One ist nicht zwingend mein Fall. Zumindest was die Nullerjahre-Produktionen betrifft. Da schreitet er mir doch ab und an zu cocoonig-ravig voran. Ist ja okay, der Sound passt auch bestens zu den Orten, an denen er regelmässig spielt. Als Remixer / Editierer hat er mich dagegen schon öfters überzeugt. Ganz besonders im “Late Night NYC Edit” auf Podium Records.
Nicht weniger attraktiv ist sein “Chicago Dirt Mix” für Mike Kivits alias Aardvarck. Der Niederländer kann auf einen stolzen Veröffentlichungskatalog zurückblicken. Releases auf Djax-up Beats, Rushhour, Kindred Spirits und Delsin. Auf seinen Platten schöpft er aus unterschiedlichen Genre, angefangen bei Jazz bis hin zu Warp-Elektronika. Schwer einzuordnen, der Gute. Sein Fact Mix aus dem Monat Mai zeigt seine Einflüsse in einem eindrucksvollen musikalischen Bild. Zwar stampft Aardvarck im Original schon ordentlich auf den Tanzboden ein, doch der trockene House-/Techno-Hybrid von 2000 And One mit seinem satten, rollenden Groove, erweist sich als tauglich für den Endlostanz.
4. Jon McMillion – Solette Simms – San Proper Movetek Mix – Nuearth Kitchen
Jon McMillion ist mit seinem Longplayer, der letztes Jahr auf Nuearth Kitchen erschien, so unentdeckt unter dem Radar vieler House-/Techno-Liebhaber hindurchgeflogen. Nur ganz knapp und erst sehr spät ist er mir aufgefallen. Hat vielleicht auch etwas mit seiner Herkunft aus der Stadt Seattle zu tun, die bis vor einigen Jahren Sitz des Flugzeugherstellers Boeing war. Nun Ja. Auf dem selbstbetitelten Debütalbum zelebriert der US-Amerikaner mit unheimlich erfrischender Spielfreude einen Sound, der auf europäischem und gleichermassen US-amerikanischem House und Techno aufbaut, ernsthaft ist und trotzdem von einer Prise Humor durchzogen ist.
Der Niederländer San Proper inszeniert das darauf befindliche Stück “Solette Simms” als funkensprühenden, mitreissenden Bouncer mit maschineller Funkiness. Und der Groove? Der rollt, und rollt, und rollt. Auch die Remixe von Vakula und Juju & Jordash sind zu empfehlen!
5. 7Citizen – Quietus – Praterei
Zum Abschluss noch ein Stück aus der Praterei. Dieses Label ist dem Schosse der Wiener Pratersauna – Veranstaltungslabel, Club, u.s.w. – entsprungen. Die erste 12″ darauf mit dem Titel “Juno Jam / Slanging” schlug ein wie eine Bombe. Genauso auch “Quietus”, ob Original oder Force/Emerge Remix. Ein sorgfältig gearbeitetes Kleinod an Chicago House.
English (short) version: five tracks that hopefully will accompany you on your weekend. Raw honest house music with a tasty acid Chicago Flavour from Austria (“Quietus”), and outstanding remixes by Kyle Hall, San Proper, 2000 And One and Simoncino.