Heute, Samstag, ist es wieder einmal soweit: Keep-it-Deep präsentiert euch einen neuen, exklusiven Podcast. An den Plattentellern dafür stand Sven Helwig, der während rund zehn Jahren zusammen mit Gerd Janson und Thomas Hammann die Liquid-Nächte im Club Robert Johnson hostete. Ein solcher Adel verpflichtet, und dementsprechend ist es selbstverständlich, dass uns auch heute ein Vinyl only-Mix vorliegt. Wie gewohnt gibt’s zunächst ein kleines Interview, dann den Podcast. Viel Vergnügen damit!
INTERVIEW
Sven, Dein Mix ist in einem klassischen Stil gehalten. Wann hast Du zuletzt Vinyl gekauft und was waren dies für Platten?
Ich bin ein absoluter Vinyl-Addict und kaufe sehr regelmässig Schallplatten. Das können ganz aktuelle Veröffentlichungen sein. So habe ich mir vor einigen Wochen beispielsweise die “Cubo Edits” von I:Cube gekauft oder die “Possessions and Obsessions”-Remixe, die auf Permanent Vacation erschienen sind. Von dieser Platte habe ich den Remix von Maxxi Sound System für meinen Podcast ausgewählt. An dieser Nummer gibt es derzeit einfach kein Vorbeikommen. Als Geheimtipp kann ich zur Zeit “The Night Mail” von New Jackson, einem Produzenten aus Dublin, empfehlen. Wer dieses Stück einmal gehört hat, will diese Platte sofort seiner Sammlung einverleiben.
New Jackson ‘The Night Mail’ from Fergal Brennan on Vimeo.
Wie muss denn ein Release beschaffen sein, dass Du sagst: “Das kaufe ich.”?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn es gibt so viel unterschiedliche Musik, die ich gut finde und dann auch kaufe. Ausserdem kommt jeden Tag neuer Input dazu, sei es von Freunden, sei es über soziale Netzwerke und Blogs. Zudem höre ich ausserhalb des House- und Disco-Universums auch sehr gerne Jazz oder Dubstep. Allgemein gesprochen, muss mich ein Song oder Track persönlich fesseln, von Anfang an vereinnahmen. Und bei House würde ich sagen: Es muss kicken.
Hast Du Dich auch einmal beim Vinyl-Kauf allein vom Cover zum Kauf verleiten lassen, vielleicht auch ohne die Platte anzuhören?
Ja und nein. Ja, weil ein ansprechendes Cover durchaus einen Kaufanreiz schaffen kann, genauso wie auch buntes oder marmoriertes Vinyl. Solche optischen Hingucker verleiten dazu, dass man die Scheibe im Plattenladen zur Hand nimmt. Nein, weil ich als DJ und Musikliebhaber nie eine Platte kaufen würde, ohne sie einmal angehört zu haben.
Inwieweit hatte Deine Residency im Robert Johnson einen prägenden Einfluss auf Dein Musikverständnis und Deinen Geschmack?
Vielleicht muss ich zunächst etwas weiter ausholen und tiefer zurückgehen in die Vergangenheit, denn in Sachen Clubmusik bin ich ein Kind der späten Achtziger und frühen Neunziger Jahre. Das musikalische Spektrum war damals ganz einfach ‘dance music’. Es war eine Musik, die von sogenanntem Happy Breakbeat über Synth Pop und Disco bis hin zu Sounds ging, die man heute wohl in Schubfächer wie House und Techno einordnet.
Einen wesentlichen Einfluss auf mich und mein Musikverständnis nahmen dabei die Clubnächte im Milk! Club in Mannheim, genauso wie auch die Clubnacht HD800 mit den DJs Dirk Mantei alias D-Man und Andreas “ND” Baumecker, der ja seit 2004 in Berlin lebt und als Resident des Berghain/Panoramabar tätig ist. Dieser freigeistige Ansatz hat mich beeindruckt und geprägt.
Und die Liquid-Abende?
Diese Residency hatte ich zusammen mit Thomas Hammann und Gerd Janson während nahezu zehn Jahren. So lange Zeit einen festen Abend zu haben, bei dem man musikalisch zwar auf ‘dance music’ ausgerichtet ist, sich aber nicht auf ein bestimmtes Genre beschränken muss, gibt einem die Möglichkeit, Freiräume zu nutzen und im Rahmen eines DJ-Sets auch einmal über den Tellerrand hinaus zu blicken.
Wie kam es denn zu dieser Residency?
Das lief über einen Kontakt von Thomas Hammann zu Ata, dem Gründer und Betreiber des Robert Johnson. Dieser hatte Thomas angefragt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, einen Abend im soeben neu eröffneten Club Robert Johnson zu gestalten. Ata war ausgesprochen offen, auch Thomas’ Vorschlag gegenüber, noch zwei weitere Leute mit in das Programm aufzunehmen. Das waren Gerd Janson und ich. So nahm dann alles seinen Lauf. Der Name Liquid stammt noch aus der Darmstädter Zeit.
Rund zehn Jahre Robert Johnson – was sind Deine persönlichen Highlights aus dieser Zeit?
Es fällt mir schwer, mich auf einige wenige Höhepunkte zu beschränken, denn im Laufe der Zeit sind viele Erinnerungen zusammengekommen. Ganz zu Beginn waren es auch nur der Gerd (Janson), Thomas (Hammann) und ich, die an den Plattentellern standen und aufgelegt haben, ganz ohne Gast-DJs. Die kamen erst später. Und um einmal ein paar Namen einzubringen: Clubnächte mit Maurice Fulton, Darshan Jesrani oder Morgan Geist von Metro Area, Prins Thomas, Theo Parrish und Moodymann haben auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, gerade weil diese Künstler starke, eigenwillige Persönlichkeiten an den Decks sind.
Wie war es denn beispielsweise an der Seite von Moodymann aufzulegen?
Ich habe Kenny Dixon Jr. als einen ausgesprochen höflichen und netten Menschen kennen gelernt, der als DJ eine positive Verrücktheit und hohe Entertainer-Qualitäten mitbringt. Zu dieser Zeit trat er ja noch hinter einem Vorhang auf. Dieser Sichtschutz war schon aufgebaut, als wir das Intro für ihn spielten. Das war eine neue Erfahrung für mich, denn man legt auf, weiss beziehungsweise sieht nicht, ob und wie die Leute darauf reagieren. Man kann und muss versuchen zu erfühlen, was gerade auf der Tanzfläche geschieht. Moodymann war insofern grossartig, weil er seine Tracks gerne auch mit Anmerkungen und Anekdoten versehen hat und damit eine Geschichte und Entwicklung der ‘black dance music’ erzählt hat.
Und Moodymann als Vorbild? Es berufen sich doch nahezu alle auf Detroit…
So weit würde ich ganz bestimmt nicht gehen, denn zum Vorbild gehört auch das nachahmen und nacheifern dazu. Moodymann hat mich als Künstlerpersönlichkeit während seines Auftritts im Robert Johnson sehr beeindruckt. Doch tatsächliche Vorbilder, die musikalische Inhalte an mich weitergegeben haben und von denen ich mir das eine oder andere abgeguckt habe, waren in erster Linie die Jungs aus dem Grossraum Frankfurt-Darmstadt-Mannheim, die Ende der Achtziger Jahre die Clubszene wesentlich aufgebaut waren.
Dennoch: Die Genre House, Techno oder Disco leben stark von Ikonen…
…die hoch in den Himmel aufsteigen können, aber auch abstürzen können. DJs, die weltberühmt waren und auch heute noch sind, die aber ihren Glanz verloren haben. Einer davon ist beispielsweise Louie Vega von den Masters At Work, der heutzutage sehr, sehr poppige Stücke produziert, und wohl auch genauso auflegt. Dabei gehörte gerade er zusammen mit Kenny Dope oder auch Todd Terry zu meinen absoluten Heroes in den Neunziger Jahren. Die Art und Weise, wie die Jungs damals ihre DJ-Sets aufgebaut haben, mit Dubs und Acapellas angereichert haben, nimmt einen im positiven Sinne mit. Gerade vor den Fingerfertigkeiten eines Kenny Dope, der stark beeinflusst ist von der Hip Hop- und Turntablism-Kultur, zog und ziehe ich auch heute noch achtungsvoll den Hut.
Etwas mehr als zwei Jahrzehnte ‘into the scene’ – was muss man tun, damit sich keine Hörgewohnheiten einschleichen und man auf einem Sound hängen bleibt?
Ein Patentrezept gibt es dafür nicht. Wichtig war und ist für mich seit jeher, offen zu sein für Einflüsse aus anderen Genre, ob das nun Dubstep ist oder alles, was man unter dem Label ‘Sound of Bristol’ zusammenfassen könnte. Bei sehr vielen Produzenten, die aus dieser Ecke stammen, beeindruckt mich, mit welch unbekümmerter Leidenschaft sie musikalische Wagnisse eingehen und angebliche Genregrenzen aufheben.
Und kannst Du beschreiben, was Dich nach so langer Zeit an den Plattenspielern auch heute noch an ‘dance music’ fasziniert?
Heutzutage gehe ich ja nicht mehr so oft weg, wie noch vor einigen Jahren. Auch als DJ ist es ein wenig ruhiger um mich geworden, denn mir ist auch wichtig, Zeit für meine Beziehung und Familie zu haben. Die Faszination ‘dance music’ ist aber immer noch genauso gross, wie am ersten Tag. Ich bekomme auch heute noch glänzende Augen bei neuen Platten, deren Stücke berührende Harmonien oder bouncende Rhythmen enthalten. Analoge Rhythmen, verschleppte MPC-Beats, ein knackiges Vocal – was gibt es Schöneres?
GUEST MIX
English (short) version: This week’s podcast is presented by German DJ Sven Helwig. Growing up close to Darmstadt, Mannheim and Frankfurt, he got in touch with the early club and dance music scene, musically raised by cult figures like Dirk Mantei or Andreas ND Baumecker (nowadays resident at Berghain/Panoramabar) and Milk! Club in Mannheim or HD800 in Heidelberg. He also was part of legendary Robert Johnson club, where he hold a monthly residency together with Thomas Hammann and Gerd Janson, spinning records alongside guests like Prins Thomas or Theo Parrish. Enjoy his selection!
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