Ich weiss gerade nicht mehr, wo ich es zuletzt gelesen habe und aus welcher Hand die Zeilen stammen, dass Freiburg im Breisgau, die beschauliche Universitätsstadt an den Ausläufern des Hochschwarzwalds, nur ein einziges Mal sich auf dem (deutschen / internationalen) Musikatlas für elektronische Clubsounds positionieren konnte, und zwar in den Mitt- und späten Neunziger Jahren durch A Forest Mighty Black, dem downtempo-electronic-acid jazz-Projekt von Bernd Kunz. Seine EPs und das Album auf Compost Records lenkten damals viele Augen auf die Stadt am kleinen Flüsschen Dreisam.
Gut, es gab und gibt ja immer noch den Rainer Trüby und sein Trüby Trio-Projekt, auch Christian Gimbel und Alexander Purkart hatten als Titan & Red Acid Jack auf dem Techno-Parkett einen kurzen, recht erfolgreichen Auftritt. Aber das ist ebenfalls 15 Jahre her. Seit dieser Zeit war in Sachen Veröffentlichungen nicht mehr allzu viel los – und die ein, zwei (Net-)Label, über die beständig minimaler Techno abgefeuert wird, zählen nicht. Denn der hierauf veröffentlichte Sound war und ist durchweg von belangloser und beliebiger Art.
Wenn nicht Agent Schwiech & Co. House als DJs unermüdlich in die Clubs brächten, hätte es diese Art der Musik im Südwesten Deutschlands noch viel schwerer zu überleben, selbst als Mauerblümchen. Doch seit geraumer Zeit jedoch regt sich etwas im Untergrund. Der musikalische House- und Techno-Same, den die regional verwurzelten DJs wie (einst) Ralph Thieme, Shaddy, Agent Schwiech, Kowski, Ricordo,… Wochenende für Wochenende und auch zwischendurch auf den Tanzflächen ausgestreut haben, scheint fruchtbaren (Produzenten-)Nährboden getroffen zu haben. 2009 und 2010 gab es zwei Platten von einem Künstler namens Sarrass. Eine auf Compost Black (“Home At The Sea“), die zweite auf Third Ear (“Lust EP“). Beide erzielten einen Aufmerksamkeitserfolg, sowohl bei DJs als auch bei der schreibenden Zunft. Sarrass stammt aus Freiburg.
Ein weiteres Musikprojekt, allerdings (noch) ohne Label, ist Chicago Life. Die Identität der dahinter stehenden Personen ist noch ungewiss. Vielleicht ist es auch die Arbeit eines Einzelkämpfers. Das tut jedoch nichts zur Sache. Chicago Life offenbart sich lediglich durch seine auf Soundcloud hörbar gemachte Musik. Und das sehr deutlich, mit scharfem Konzept. Ob die Stücke dieses Projekts das “next big thing” werden oder das Zeug dazu haben, möchte ich zu einem so frühen Zeitpunkt nicht vorgreifend behaupten. Dazu kenne ich das Musikprojekt zu wenig. Zudem sollte mit Alleinstellungsbehauptungen und Superlativen vorsichtig umgegangen werden. Doch der Einblick, den Chicago Life auf seiner Soundcloud in seine Arbeiten gewährt, reicht aus für die Feststellung, dass die Produzenten das “house thing” so tief verinnerlicht haben und umsetzen können, dass nun erste Austriebe sicht- beziehungsweise hörbar werden.
Auf der Soundcloud von Chicago Life gibt es einige Remix-Arbeiten zu hören. “Something About You” von Tensnake haben sie einer Neuabmischung unterzogen. Ebenso haben sie sich an “Move Your Body” von Marshall Jefferson abgearbeitet und daraus einen Track mit ruhiger Gangart gezimmert, der auf brüchigen, hypnotischen Vierviertelbeats aufbaut. Zusammen mit den Streicher-Soundscapes und den gefilterten Vocals der House-Legende Jefferson vermittelt der Track traumverlorene Entrücktheit und Stärke zugleich.
Noch mögen die Tracks lediglich Arbeitsproben, einfache Skizzen sein. Doch gerade Stücke wie “Love Affair” und “Downtown überzeugen mit Beatpattern, die funkig-flockig rollen und sehr ausgereift und versiert klingen. Mit stoischer Ruhe stampft die Bassdrum, doch die Snares folgen diesem einfachen Grundschema nicht blind. Sie gesellen sich leicht punktiert dazu und wecken damit das Bedürfnis, sich rhythmisch dazu zu bewegen. Auch der harmonische und melodiöse Part bleibt bei beiden Tracks nicht auf der Strecke. Chicago Life setzt die Tracks auf atmosphärische, sich verflüchtigende Synth-Kissen, lässt ätherisch feine Klavierakkord-Figuren in den Track reinlaufen, die mehr sind als eine emotionale Geste. Die Stücke von Chicago Life sind in jedem Fall eine Arbeitsleistung, die Anerkennung und Respekt verdient hat. Damit könnte auch bald einmal das zu Beginn erwähnte Vorurteil, dass nach Acid Jazz und Downtempo Electronica nichts mehr Erwähnenswertes aus Freiburg kam, ausgeräumt werden. Keep it up!
Chicago Life – Downtown from Chicago Life on Vimeo.
English (short) version: Chicago Life is a newly founded music project. It is located in the German city of Freiburg, between the foothills of Black Forest and the border region on the Upper Rhine. They focus on a solid house groove that is built on a lazy pounding kickdrum and a deep rolling and (very) slightly offbeat shuffle snare pattern that might swing a club down. Layers of harmonic, ethereal synth pads and ephemere piano keys bring the tracks to a 5 a.m. club oblivion. Check’em out!
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