Kerri Chandler @ Supermarket / Zürich, 30. April, Teil 1

He reigns, he reigns, forever and ever, he reigns, he reigns, forever and ever…

Ein unsichtbarer Gospelchor verkündet kraftvoll und mit tiefer Spiritualität das unmittelbar bevorstehende Grossereignis: den Einzug Kerri Chandlers, der (Deep-)House-Legende, (Deep-)House-Ikone aus New Jersey / USA, an den Plattentellern des Züricher Clubs Supermarket (http://www.supermarket.li/). “He reigns, he reigns, forever and ever…” Die Crowd stimmt mit ein in den Chorus, bereitet dem Regenten der House Nation einen fulminanten Empfang, feiert ihn frenetisch. Erste Hände gehen in die Luft.

Meine Augen sind geschlossen. Ich lasse mich tragen von der tiefen und sonoren Bassline des Songs “He Reigns” von Yass feat. LT Brown (Purplemusic #36), (Muri, Züricher DJ-Urgestein, spielt den Dub Mix dieses Songs). Auf meine Lippen legt sich ein sanftes Lächeln, und als ich die ersten verdrehten Synthie-Elemente höre, die Kerri Chandler nun einblendet, weicht meine zuvor leise empfundene Freude tiefer Verklärung: Cowbells, eine crispe Kickdrum und die unvergleichliche, unverwechselbare killer bassline. Kerri Chandler leitet seine Regentschaft ein mit seiner persönlichen Hymne, Bar A Thym (NRK Sound Division, NRK 111).

Kerri Chandler. Nahezu zwei Jahrzehnte sind vergangen seit seiner ersten Veröffentlichung auf dem von ihm ins Leben gerufenen Label Madhouse, “A Basement, A Redlight & A Feelin’“. Seit dieser Zeit hat die zeitgenössische (elektronische) Musik zahlreiche Trends und Hypes erlebt, ob unter dem Schlagwort “progressive” oder “minimal“. Ist Kerri Chandler der sprichwörtliche Fels in der Brandung? Nein! Den Kräften der Natur sind selbst die härtesten Gesteine ausgesetzt, auch vor Hartgestein macht die natürliche Erosion nicht halt. Kerri Chandler jedoch widerstand den flüchtigen Hypes, steht ihnen bis zum heutigen Tag entspannt gegenüber, bleibt sich treu: deep & soulful house at its best. Kerri Chandler eben.

So geradlinig und klar, straight und stiltreu er in seinen Produktionen ist, so vielschichtig baut Kerri Chandler sein Set in Zürich auf. Noch schweben die letzten Synthie-Flächen von Bar A Thym auf dem Betonboden des Supermarket, peitschen mich vielfach geloopte Hand Claps, String Chords und dysharmonische Synthie-Stabs nach vorne. Kerri Chandler treibt die Crowd mit einer hochfrequenzigen, direkt auf den Sinus-Knoten abzielenden Detroit-Nummer an. Kaum ein Körper, der sich zu diesem “stomper” nicht bewegt. Der Track erinnert mich ein wenig an “Coeur Étrange” von Don Williams (Styrax Leaves). Mein Puls schlägt schneller, meine Körpertemperatur steigt, erste Schweissperlen auf der Stirn.

Kerri Chandler beweist (erneut), dass er sich nicht auf einen einzigen Stil festlegen lässt, so sehr seine Produktionen mit dem Deep House Sound New Yorks verwurzelt sind. “It’s all about music” und “Oh, well, you know, I just love music“. Kerri Chandlers Bekenntnis auf meine Frage, welchen Musikstil er denn am meisten schätze, spiele oder selbst höre. Seine unermüdliche Hingabe und Liebe zur Musik, seine Verinnerlichung der Musik, seine Sehnsucht und sein Streben nach dem perfekten Song wird mir deutlich vor Augen geführt, als ich einen Blick auf den Bildschirm seines Notebooks werfe. So führt er beispielsweise über 10 Edits seines eigenen Songs “Rain” mit sich. Meine Bewunderung für diesen Musiker kennt keine Grenzen.

Welch tiefe Glückseligkeit durchflutet mich, als Kerri Chandler das Tempo ein wenig drosselt, und ein elegisches Piano Instrumental erklingt. Ein schiebender Beat, dunkle und deepe Sound-Elemente, “tech-soul-jazz“. Kerri Chandler spielt “Shiro” von Âme, dem Karlsruher Produzenten-Duo, die seit 2003/04 den teilweise doch beschränkten Horizont der deutschen House-Musik mit ihren Produktionen beträchtlich erweitert haben. Während des sphärischen Breakdowns breite ich die Arme aus, gleite förmlich auf der Musik. Keine dummen Blicke oder Sprüche. Zürich weiss zu feiern, Zürich knows house!!!

Sunday, sunday…” Ein langezogenes Echo reisst mich aus meinen sehnsuchtsvoll-schwärmerischen Träumen. “Sunday, sunday…” Warm und dennoch von metallener Kälte, kehlig dumpf, trotzdem grell und etwas schnarrend ertönt zu Johnny Corporate‘s “Sunday Shoutin” (Defected 21) der unverkennbare Klang eines Saxophons. Live!!! Die kommende halbe Stunde wird bestimmt durch ein leidenschaftliches back-to-back zwischen Kerri Chandler und einem Saxophonisten. Sie spielen, improvisieren, jammen sich durch den schier unübersichtlichen Fundus an House-Tracks, die entweder als Original oder in einem Remix über einen Saxophon-Part verfügen. So wird der Floor beispielsweise mit “Haunted” von Quentin Harris oder Son Of Raw‘s “A Black Man In Space”, einer brandaktuellen Nummer aus den Händen des musikalischen Ziehsohnes von Kerri Chandler, Dennis Ferrer, beschallt, bis die Nacht in ihrem ersten Höhepunkt kulminiert:

…Rain, Rain…all I wanna do is love you, Rain…” Kerri Chandler ergreift das Mikrophon und singt einen seiner Klassiker direkt aus dem Herzen. “Rain” (Nervous Records).

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