Felix Kubin, der Hamburger Electronic Künstler, die eine Hälfte der Noise-Industrial-Experimental-Formation Klangkrieg, live in concert – er hebt die Trennung zwischen Musik, Wort und Geräusch auf, bewegt sich im Spannungsfeld festgefügter Strukturen – manche seiner Werke weisen doch die kompositorischen Charakteristika eines Liedes auf – und Offenem – er geht zur konventionellen Form, zu einem gar zu strengen Formschema ironisch lächelnd auf Distanz. Auch ich gehe – ebenfalls ironisch lächelnd am Bartresen stehend- auf kognitive Distanz zu seiner Darbietung. Mir ist an diesem Abend einfach nicht nach dieser Mischung aus Ambient, Synthpop, Industrial, EBM oder Ähnlichem zu Mute. Die anderen Festivalgäste scheinen daran jedoch Gefallen zu finden.
Shift Festival 2009 – ein kleiner Nachtrag (Teil 2)
Minuten später. “Voices inside my head, echoes of things that you said…” Der allbekannte Acapella-Standard von Sting & The Police’ gleichnamigem Song verhallt in der Weite der Dunkelheit, die mittlerweile in der Halle herrscht. Reto Keller, besser bekannt als DJ Neevo, hat die Regie über die weitere musikalische Gestaltung übernommen. Stilistisch zählt er zu den aufgeschlossensten und diversifiziertesten DJs und definitiv Basel’s finest – die Freiburger sollten ihn aufgrund seiner Gastauftritte im Waldsee bei Tageins her kennen. In die sich verflüchtigende Stimme mischt sich ein ruhiger Summton, ein Knistern und Knacken, als hätte man einen Radiosender mit sehr schlechtem Empfang eingestellt. Dazu gesellen sich wie Wassertropfen pluckernde Soundwellen und wieder die Stimmen. “Voices inside my head, echoes of things that you said…” Und allmählich nehmen die räumlichen Geräuscheffekte ab, vermengen sich im Nachhall mit getwisteten, an Electrofunk erinnernde Bassläufe, leicht hinterher hinkenden Snares und Claps. Hier spielt DJ Neevo seine ganze Plattenmischkunst aus. Von experimentellen Klangwelten, wie sie auch in der Minimal-Elektronik eines Carsten Nicolai / Alva Noto zu finden ist, hin zu “club heavy bottom-end” Disco-Edits eines Greg Wilson, Ray Mang, Ron Hardy aber auch den Jungs von Disco Deviance, Soulful Disco Club oder eben eines Mark E. Von diesem ist es auch “You“, jüngst erschienen auf seinem neu gegründeten Label MERC (http://www.discogs.com/Mark-E-Get-Yourself-Together-You/release/1928797), das in den Köpfen und Körpern der Besucher einen Hebel umlegt. Die Nacht nimmt Fahrt auf. Behutsam aber beständig zieht DJ Neevo das Tempo an, packt von Platte zu Platte eine Schippe Leistung mehr drauf und spielt sich über “Engoli” von Âme hin zu frenetisch nach vorne peitschendem Acid House.
Leider ist da auch schon der Zeitpunkt gekommen, an dem DJ Neevo an Thomas Fehlmann abgeben muss. Bei allem Respekt und in tiefer Verneigung vor seinen grundsteinlegenden Leistungen, sei es für New Wave / NDW mit Palais Schaumburg, sei es für Techno als 3MB mit Moritz von Oswald (und Juan Atkins oder Eddie “Flashin” Fowlkes), aber ich hätte mich von DJ Neevo noch Stunden weiter durch die Nacht führen lassen können. Mit seinem ersten Track beweist Thomas Fehlmann, dass er zu den (Mit-)Begründern der Berlin-Detroiter Techno-Alliance zählt. Pointiert treibender Techno mit Hallräumen und Dub-Effekten versehen, aufgelockert durch funkig-housige Passagen im Stile seines Stückes “Superbock” ( http://www.youtube.com/watch?v=z5F-iTGxWZ8), dessen unwiderstehlicher Groove auch mich wieder auf die Tanzfläche zieht, bestimmen sein intensives Set. Thomas Fehlmann – 30 years on stage and still going strong!
Doch das Beste kommt zum Schluss. Wie so oft. So sehr auch diese Redewendung zu einer Standard-Hülse verkommen ist, so sehr bewahrheitet sie sich an diesem Samstagabend in der ehemaligen Lagerhalle auf dem Dreispitz-Areal. Mr. Sistrum Music, Patrice Scott, betritt die Bühne mit leicht geschlossenen Augen. Er wirkt tief in sich versunken, auf sein Innerstes konzentriert, aber keineswegs abwesend. Hochgepitchte Vocals, kraftvoll und soulig, wuchtige Subbässe, String-Flächen, Piano-Akkorde und entsprechend druckvolle Kickdrums – bereits mit seinem ersten Track, der mich ein wenig an “Together” von The Oliverwho Factory erinnert, entführt Patrice Scott die Crowd in schroffe, industrielle Brachlandschaften seiner Heimatstadt Detroit. Die Reise durch verlassene Fabrikgebäude, vermüllte Hinterhöfe und trostlose Hausruinen beginnt bereits mit seiner ersten Platte. Doch trotz einer ihr innewohnenden gewissen metallischen Härte und Kälte ist seine Musik tief im Erbe der Motor City – Motown! – verwurzelt. Mike Banks hat sie einmal treffend mit Hi Tech Soul umschrieben. Zwei Platten lassen mich gebannt Innehalten. Ich muss ans DJ-Pult, erfahren, was er spielt. Doch leider kann ich nur eine stempelartige Aufschrift “Rain City” oder “Rainy City” erkennen. Von nun an drosselt Patrice Scott sanft das Tempo und füllt sein Set beständig mit Leben und Seele an. Platten wie “I Can’t Kick This Feeling When It Hits“, Kenny Dixon Jr.s Überarbeitung des Chic-Klassikers “I Want Your Love” (http://www.youtube.com/watch?v=jslkfSzi2Mc, http://www.discogs.com/Moodymann-I-Cant-Kick-This-Feelin-When-It-Hits-Music-People/release/6576) oder Tom Tragos “Passion” im MCDE-Remix (http://www.youtube.com/watch?v=MRUG4G2hqUo, http://www.discogs.com/Tom-Trago-Voyage-Direct-Remixes/release/1860036) schaffen eine überaus warme, beinahe schon besinnliche Atmosphäre, in die man abtauchen möchte. Und so bleibt am Ende dieses Sets wieder einmal die Frage offen, was das Geheimnis der Jungs aus Detroit ist, dass sie mit ihrer Musik vom ersten Takt an einen Raum für tiefe Gefühle und Empfindungen zu erschaffen vermögen.
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